Publikationen
Rafael Gil Brand
„Die Errettung von Planeten im Fall“.
Auszug aus dem Buch des Autors Rafael Gil Brand
„Himmlische Matrix“,
Kapitel 9 „Erhöhung und Fall der Planeten“
Ich habe in den obigen Deutungen (Anmerkung: von Planetenstellungen im Zeichen seines Falls) hervorgehoben, dass die Position eines Planeten im Fall durchaus auch seine konstruktiven Seiten haben kann. Unter bestimmten Bedingungen wird sich dieses Potential besonders entfalten, und kann sogar zu einer Umwandlung der ursprünglichen Schwächung führen.
Sowohl hermetische wie vedische Astrologen sind sich darin einig, dass ein Planet aus seiner Stellung im Fall herausgeholt oder errettet werden kann. So beschreibt zum Beispiel Abraham Ibn Esra eine Konfiguration des „Vergnügens“ folgendermaßen: „Vergnügen heißt, dass ein Planet sich im Brunnen (2) oder im Grad seines Falls befindet, und ein anderer, der mit ihm befreundet ist oder dort Würde hat, ihn aspektiert“. An einer späteren Stelle führt er dann aus: „Wenn der Signifikator sich im Vergnügen befindet, bedeutet es, dass jemand ihm Gutes getan hat.“ Dieser letzte Satz ist als Deutung zu verstehen. Der freundliche Planet, der den Planeten im Fall aspektiert, symbolisiert einen Menschen oder eine Instanz, die diesen Planeten im Fall – den Signifikator der analysierten Angelegenheit – aus seiner Schwächung heraushilft, und ihm damit etwas Gutes tut.
Die besagte Regel wird von Al Biruni präziser definiert: „Wenn ein Planet in seinem Fall oder in einem Brunnen ist, oder in einem Zeichen, in dem er keinen eigenen Abschnitt besitzt, ist dies, als wenn er in einem engen Platz oder in einer Höhle festsitzen würde. Wenn nun einer der zu ihm freundlichen Planeten oder sein Dispositor sich ihm nähert, und ihm eine helfende Hand reicht, um ihn aus seiner üblen Situation zu erlösen, dann wird dies beschrieben als einen Gefallen erweisend, und er wird ein Wohltäter genannt.“ Al Biruni macht hier deutlich, dass der Aspekt des errettenden Planeten applikativ sein muss.
In der indischen Astrologie finden wir ein sehr ähnliches Konzept, insofern auch hier der Dispositor des Planeten im Fall dazu beitragen kann, dass dessen Schwächung neutralisiert oder aufgehoben wird. Abgesehen vom Aspekt ist es aber die Position dieses Dispositors in Eckhäusern, welche die Aufhebung hervorruft. Konkret handelt es sich um folgende Konfigurationen:
- Der Dispositor des Planeten im Fall steht in einem Eckhaus.
- Der Herrscher des Zeichens, in dem der gefallene Planet erhöht ist (also der Dispositor seines Erhöhungsgrades) steht in einem Eckhaus.
Dies sind die beiden Yogas, die von den meisten Klassikern aufgeführt werden. Auf die zweite dieser Konfigurationen werde ich gleich näher eingehen. Die Position in einem Eckhaus ist vom Aszendenten aus zu betrachten. Sie wird aber verstärkt, wenn die betreffenden Planeten auch in Eckhäusern vom Mond stehen. Die Position in Eckhäusern vom Mond ist für sich allein genommen ebenfalls wirksam, wenn der Planet gleichzeitig in einem profitablen Haus oder anderweitig gestärkt steht.
Mantreswara führt zusätzlich folgende zwei Konfigurationen ein:
- Der Dispositor des Planeten im Fall und der Dispositor seines Erhöhungsgrades stehen in Eckhäusern zueinander.
- Der Dispositor des Planeten im Fall aspektiert diesen mit einem vollen Aspekt oder steht mit ihm im selben Zeichen.
Diese letzte Konfiguration ist im Grunde nichts anderes als die Errettung, welche die arabischen Astrologen
beschreiben. Der einzige Unterschied ist, dass diese jeglichen Aspekt berücksichtigen, solange er auch applikativ ist. Wir können beide Lehren zusammenfassen und sagen, dass eine Aufhebung des Falls dann vorliegt, wenn der Dispositor des gefallenen Signifikators diesen entweder mit einem vollen planetarischen Aspekt anschaut, oder wenn er einen applikativen, möglichst hochrgen Aspekt zu ihm bildet – und zwar ohne Unterbrechung durch andere Planeten und deren Aspekte. Wir dürfen die Rezeption – denn um nichts anderes handelt es sich bei dieser Konfiguration - durch eine weitere Form von Planetenbindung ergänzen, nämlich die gegenseitige Rezeption:
- Der Planet im Fall steht in gegenseitiger Rezeption mit seinem Dispositor.
Auch im Falle einer Rezeption oder gegenseitigen Rezeption ist es vorzuziehen, dass der Dispositor des geschwächten Planeten sich in profitablen Häusern befindet. Außerdem ist es wichtig, dass dieser Planet einigermaßen stark steht, entweder in einer seiner Würden oder in einem Eckhaus.
Manche vedische Astrologen legen die klassischen Texte so aus, dass auch der Planet, der in dem vom gefallenen Signifikator besetzten Zeichen erhöht ist, durch seine Position in einem Eckhaus eine Aufhebung des Falls bewirkt. Dies geht meines Erachtens nicht aus den alten Texten hervor. Es gibt aber eine Konfiguration mit dem in diesem Zeichen erhöhten Planeten, die zur Aufhebung führen kann:
- Der Planet im Fall steht in Konjunktion mit dem Planeten, der in diesem Zeichen erhöht ist.
Es macht Sinn, dass ein erhöhter Planet den Planeten im Fall kompensiert, zumindest dann, wenn diese Konjunktion auch in einem günstigen Haus zustande kommt. Ansonsten kann es sein, dass umgekehrt der Planet in Erhöhung in Mitleidenschaft gezogen wird.
Die hier beschriebenen Yogas werden Nica bhanga raja yoga genannt, das heißt wörtlich übersetzt „königliche Verbindung durch Aufhebung der Erniedrigung“. In anderen Worten, diese Konfigurationen werden als Indikatoren für eine führende gesellschaftliche Rolle und für eine erfolgreiche Karriere angesehen. Wir sollten dies aber cum grano salis nehmen bzw. ordentlich würzen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeine der genannten Stellungen in einem Geburtsbild entsteht, ist recht groß. Es kann aber nicht sein, dass in jedem Fall eine führende Stellung verheißen wird. Wir sollten also bei der Einschätzung von Nica bhanga raja yoga folgendes abwägen:
- Es ist davon auszugehen, dass die Schwächung des Planeten sich auf jeden Fall mehr oder weniger stark auswirken wird, und dass die Aufhebung oder gar der Raja-yoga-Effekt sich erst im weiteren Verlauf des Lebens einstellen wird. Ist die Aufhebung stark, dann mag dieser Effekt sich schon relativ früh bemerkbar machen.
Zweitens wird die Aufhebung nur dann wirksam sein, wenn der Planet, der diese Aufhebung verursacht, selbst auch einigermaßen stark und dominant ist. Das grundlegende Nica bhanga definiert sich schließlich durch eine dominante Position des Dispositors in einem Eckhaus.
- Je stärker die aufhebenden Planeten, desto weniger werden die problematischen Facetten des erniedrigten Planeten ausgeprägt sein, und desto stärker werden die positiven Seiten hervortreten.
Die Aufhebung wird natürlich untermauert, wenn zwei oder mehr der aufgezählten Konfigurationen zusammentreffen. Erst in diesem Fall, oder bei einem einzelnen stark gestellten aufhebenden Planeten, würde ich den Effekt eines Raja-yoga vermuten. Ansonsten ist davon auszugehen, dass sich die Schwächung des gefallenen Planeten lediglich neutralisiert, ohne außergewöhnlich positive Effekte im Sinne eines Raja-yogas zu zeitigen.
- Schließlich sollten wir bedenken, dass das Raja yoga nur dann voll zur Entfaltung gelangen wird, wenn auch der aufhebende Planet in den Dasas aktiviert ist.
Insbesondere das Maha Dasa dieses Planeten wird die Verwandlung des gefallenen Planeten zeitigen. Das Dasa oder das Bhukti des geschwächten Planeten selbst wird sich als problematisch erweisen.
Beispiele … / …
Ein sehr interessanter Fall ist das Horoskop von Friedrich Nietzsche (2), dessen Werke von Rudolf Steiner herausgegeben wurden, was er selbst aber nicht mehr bewusst erleben sollte. Wir finden hier drei Planeten in hohen Würden: Merkur in maximaler Erhöhung, Saturn im Domizil, Jupiter ebenfalls im Domizil. Es sind die Planeten, welche die Lufttriplizität beherrschen, die Domäne des Denkens und intellektuellen Urteilens, und gleichzeitig die Triplizitätenherrscher der Sonne. Merkur und Jupiter sind dabei in profitablen Häusern und in der Nähe der Achse MC-IC. Merkur steht außerdem in Konjunktion mit dem Geistespunkt, den er beherrscht.
Auf der anderen Seite sehen wir die beiden Lichter im Fall. Die Sonne ist außerdem weiter geschwächt durch einen vollen Aspekt des Saturn und durch ihre Stellung im zwölften Haus, während der Mond im ersten Haus zu den dominierenden Planeten zählt. Venus ist ebenfalls im Eckhaus, und auch Mars, der zweite Triplizitätenherrscher des Wassers, befindet sich in einer exponierten Position, nahe dem MC. Letztlich scheint bei Nietzsche die Domäne des Denkens die Vorherrschaft gehabt zu haben, aber eng verbunden mit der astralen Ebene des Wassers. Nietzsche war schließlich Philologe, und Dichtung und Musik spielten in seinem Leben und Werk eine herausragende Rolle. Er selbst schrieb auch Gedichte und kleine Kompositionen.
Die angeschlagene Position der Lichter, allen voran der Sonne, erklärt die schweren Krankheiten, die Nietzsche erleiden musste. Der Mond in enger Konjunktion mit Rahu brachte zusätzlich eine emotionale Empfindlichkeit und Obsessivität, die sich zuletzt zu einem Größenwahn auswuchs, bevor er zusammenbrach und die letzten elf Jahre seines Lebens in geistiger Umnachtung fristete.
Merkur in Erhöhung und in Konjunktion mit dem Aszendentherrscher Mars erklärt sicherlich Nietzsches scharfen Verstand und seine beißende Kritik an der herrschenden Kultur. Auch trug dieser Merkur zu seiner steilen schulischen und akademischen Laufbahn bei, die in einer außerordentlichen Professur im Alter von nur 24 Jahren mündete. Aber sein Genie lässt sich nicht verstehen ohne den Mond, dem Herrscher des neunten Hauses am Aszendent. Dieser aufgewühlte Skorpion-Mond in enger Konjunktion mit Rahu und mit Antares ist es, der sein Unbehagen an der Kultur und seine Demontage christlicher Moral motiviert. Nietzsches Philosophie ist nicht ein systematisches Gebäude, sie erwächst aus Stimmungen, emotionalen Verletzungen und großen Sehnsüchten, aus einem unbändigen Drang, die herrschenden bürgerlichen Fassaden herunterzureißen und den Menschen in seiner ureigenen Kraft und Macht zu offenbaren – eine Macht, die sich letztlich auch darin zeigt, dass er dem größten Leid standhält. Er beschwor aber eine Größe, die nicht in seiner eigenen Natur lag. Astrologisch gedeutet könnte man sagen, diese Beschwörung des Übermenschen war eine Kompensation für die ach so schwache Sonne.
Und doch gibt es in diesem Horoskop eine Errettung, die sich zumindest teilweise bemerkbar gemacht hat: Venus, Dispositor der Sonne, steht im zehnten Haus und in gegenseitiger Rezeption mit ihr, und ist gleichzeitig Herrscher in Stier, dem Erhöhungszeichen des Mondes. Venus bildet also sowohl für Sonne als auch für Mond ein Nica-bhanga. Der Planet der Liebe, der Musik und der Poesie vermag der persönlichen Tragik einen Sinn und eine Form zu geben und Nietzsches Genie ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen – auch wenn sein Ruhm posthum sein sollte. Gleichwohl steht diese Venus peregrin und selbst verletzt. Vielleicht hatte sie deswegen nicht die Kraft, Nietzsches Leid und persönliche Tragik in Glück umzuwandeln. Auch wenn die gegenseitige Rezeption eine Stärkung der Sonne darstellt, zeigt diese in ihrer Funktion als Herrscher des zehnten Hauses den Rückzug aus dem Berufsleben und die zunehmende Isolation und Entfremdung von seinen Kollegen, die Nietzsche erfuhr. Wie dem auch sei, Nietzsches Berufung zum außerordentlichen Professor in Basel geschah im Dasa und Bhukti der Venus, und die Entstehung eines Großteils seines Werks, bis hin zur Kulmination in „Also sprach Zarahustra“, vollzog sich während der 20 Jahre dieser Venus-Hauptperiode. Auch wenn Nietzsche den Ruhm nicht kostete, es ist während der Phase dieses Schlüsselplaneten, dass er ein Werk erschuf, das ihn für die Nachwelt unsterblich machen sollte.
Danach kam das Dasa der Sonne, und zwei Monate nach Beginn des Saturn-Bhukti erlitt er am 3. Januar 1889 in Turin den geistigen Zusammenbruch, aus dem er bis zu seinem Tod nicht wieder erwachen würde. Seine dirigierte Sonne hatte die Konjunktion mit Rahu passiert, und befand sich zwischen Mondknoten und Mond. Die zweite Hälfte des Sonnen-Dasas und fast das gesamte Mond-Dasa, also die Perioden der beiden geschwächten Lichter, hat Nietzsche in völliger geistiger Umnachtung verbracht.
Eines bleibt mir noch aufzuklären: der Leser mag sich wundern, weshalb ich oben geschrieben habe, die Venus sei verletzt. Sie steht im genauen Quadrat zu den Mondknoten, oder anders gesagt, in der Halbsumme von Ketu und Rahu. Eine solche Position erweist sich immer wieder als eine große Spannung, in der sich der betreffende Planet befindet, eine Spannung zwischen Gier und Erlösung, die extreme Erfahrungen innerer Zerrissenheit hervorbringen kann. Venus ist nicht nur der Planet der Liebe und der Sexualität, sondern in diesem Horoskop auch der Herrscher des siebten Hauses, in dem Ketu steht. Nietzsches Sehnsucht nach Liebe war sicherlich groß, aber ebenso sein hoher Anspruch und seine heimliche Verachtung gegenüber Frauen. Und als er in Lou Salome eine fand, die ihm intellektuell ebenbürtig erschien, gelang es ihm nicht, diese Liebe zu verwirklichen. So blieb er Zeit seines Lebens ledig, und man rätselt bis heute, ob er jemals in den Genuss kam, erotisch und sexuell mit einer Frau intim zu werden.
1. Die abendländische Klassik zählt eine Reihe von speziellen Graden auf, in denen ein Planet seine Kraft verliert. Sie werden „Brunnen“ genannt, weil die Planetenkraft hier quasi in ein Loch fällt. In der vedischen Astrologie gibt es dasselbe Konzept – die Grade heißen Todesgrade - allerdings sind diese Grade in beiden Traditionen unterschiedlich.
2. Friedrich Nietzsche, geboren am 15. Oktober 1844 um 10:11 (rektifiziert von 10:00) in Rocken (12°08´O; 51°15´N)